2025-07-06
Es gibt Werke, die flüstern – und Künstlerinnen, die mit diesem Flüstern eine ganze Welt öffnen. Irina ist eine von ihnen. In einer Zeit, in der vieles laut, schnell und grell ist, widmet sie sich dem, was übersehen wird: dem Unheimlichen, dem Unausgesprochenen, dem stillen Staunen. Ihre Kunst entsteht aus der Tiefe – aus einer Neugier, die keine Angst kennt vor Dunkelheit, sondern sie als Teil unserer menschlichen Erfahrung anerkennt.
Mit beeindruckender Geduld formt Irina ihre Visionen aus Pappe – Schicht für Schicht, wie eine liebevolle Annäherung an das Fremde, das zugleich vertraut wirkt. Ihre Werke sind Hommagen an das Andere in uns – inspiriert von Künstlern wie H. R. Giger, doch immer durchdrungen von einer eigenen Handschrift: sanft, detailverliebt, nachdenklich.
In Irinas Antworten spiegelt sich nicht nur eine künstlerische Haltung, sondern eine ganze Lebensphilosophie: der Glaube daran, dass auch das Schräge, das Unangepasste, das Unbequeme seinen Platz haben darf – und dass wahre Kunst erst dort beginnt, wo man bereit ist, sich selbst zu begegnen.
Wir danken Irina für ihre Offenheit, ihre leisen Worte mit großer Wirkung – und für den Mut, mit ihrer Kunst dorthin zu gehen, wo es weh tut, wo es leuchtet und wo es heilt.
Irina, was fasziniert dich am „Unheimlichen“ – ist es die Angst, die Fremdheit oder vielleicht das, was du darin von dir selbst wiedererkennst?
Mich fasziniert vor allem, dass das Unheimliche wie eine verborgene Seite der Welt ist, die die meisten Menschen lieber nicht anschauen möchten. Gerade weil sie Angst macht oder fremd wirkt, möchte ich sie erforschen und sichtbar machen. Ich empfinde dabei weniger Furcht als Neugier. Das Unheimliche ist wie ein Spiegel, in dem man viel über sich selbst erfahren kann – über die eigenen Grenzen, über verdrängte Vorstellungen und über die Frage, was wir als normal empfinden. Es ist ein Raum voller Möglichkeiten und Geschichten, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. Für mich hat das Unheimliche nichts rein Negatives – es besitzt eine ganz eigene Schönheit und Kraft, weil es uns aus der Bequemlichkeit herausreißt. In meinem Alien-Projekt aus Pappe versuche ich genau diese Spannung zu zeigen: das Fremde, das gleichzeitig etwas sehr Menschliches ist. Der Künstler H. R. Giger vereint all das in seinem Alien, das ich mit meinem Werk ehren möchte.
Was hast du beim stundenlangen Arbeiten mit Pappe über Geduld – und über dich – gelernt?
Beim langen Arbeiten mit Pappe habe ich vor allem gelernt, wie wichtig Geduld wirklich ist. Jede kleine Form braucht Aufmerksamkeit und Sorgfalt, wenn sie am Ende stimmig sein soll. Ich habe gemerkt, dass ich bereit bin, sehr viel Zeit zu investieren, um so detailgetreu wie möglich zu arbeiten und dem Original so nah wie möglich zu kommen. Gleichzeitig habe ich über mich gelernt, dass mich dieser Prozess nicht auslaugt, sondern eher beruhigt. Das langsame Wachsen der Figur macht mir bewusst, wie sehr Geduld auch Teil von Kreativität ist – und dass Präzision und Ausdauer oft genauso wichtig sind wie Ideen.
Wie ist es, wenn deine Visionen plötzlich greifbar vor dir stehen – fühlst du dann Stolz, Erleichterung oder sogar Zweifel?
Vor allem empfinde ich großen Stolz, wenn ich sehe, dass eine Idee, die so lange nur in meinem Kopf existiert hat, plötzlich real vor mir steht. Ein Projekt über so viele Jahre hinweg konsequent fertigzustellen, ist für mich ein Erfolg, der mich erfüllt und motiviert. Natürlich gibt es auch Momente des Zweifelns, ob alles so geworden ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber am Ende überwiegt das Gefühl, etwas Einzigartiges geschaffen zu haben. Es ist eine Mischung aus Erleichterung, Freude und dem Stolz, dass ich drangeblieben bin – egal, wie aufwendig oder anstrengend es war.
Gab es in deiner Kindheit einen Moment, in dem du wusstest: Ich will etwas erschaffen, das niemand sonst sieht?
Schon als Kind war ich begeistert davon, mit meinen Händen Dinge zu schaffen, die nur in meiner Vorstellung existierten. Ich habe stundenlang gemalt – mit Aquarell, Acrylfarben, Kohle oder Bleistift – und später auch mit Wolle, Perlen, Papier oder Pappmaché experimentiert. Meine Mutter hat diese Neugier sehr unterstützt und mir ermöglicht, viele Kurse zu besuchen. Rückblickend gab es nicht nur einen einzelnen Moment, sondern eher ein langsames Wachsen und immer neue Etappen, in denen mir klar wurde: Ich möchte nie aufhören, etwas Eigenes zu erschaffen. Kunst ist für mich Freiheit – ich lege mich nicht auf eine Richtung fest, sondern folge dem Drang, Ideen sichtbar zu machen, die sonst verborgen bleiben würden.
Was möchtest du Menschen mitgeben, die glauben, sie müssten sich anpassen, statt ihre „schrägen“ Ideen zu leben?
Ich möchte ihnen sagen: Jede noch so „schräge“ Idee hat ihre Daseinsberechtigung. Sie ist ein Teil von dir und verdient es, gesehen zu werden. Gerade das, was ungewöhnlich oder unbequem wirkt, kann etwas bewegen und andere zum Nachdenken bringen. Deine Ideen finden durch dich ihren Platz auf dieser Welt – niemand sonst kann sie so erschaffen, wie du es kannst. Anpassen kann jeder, aber den Mut zu haben, deiner eigenen Vision zu folgen, ist etwas Besonderes. Lass dich nicht beirren. Die Freiheit, anders zu sein, ist das Wertvollste, was du hast.
Admin - 15:52:32 @ Allgemein, ARTIST, EXHIBITION | Kommentar hinzufügen